Gesellschaftliche Leistung lässt sich nicht objektiv messen — erst Recht nicht durch einen unregulierten Markt

→ Kommentar zu dem Video Precht Precht und Lindner: Was ist gerecht und Precht und Lindner - Was ist gerecht? (zwei Fassungen), in dem Precht nach Ranking über objektive Leistung fragte und Lindner vom Markt sprach.

Einstufung nach Leistung hat das Problem, dass sich echte Leistung nicht objektiv messen lässt. Nicht mit Geld, und auch nicht mit irgendetwas anderem. Wir können nicht alles messen (ohne dass die Messung das Gemessene verzerrt — und sei es durch die Kosten der Messung), daher werden die Kriterien der Leistung immer nur eine unvollständige Repräsentation der wirklichen Leistung sein. Und selbst diese Kriterien werden kein Konsens sein, weil Leute unterschiedliche Grundwerte haben.1

Sobald aber bekannt ist, anhand welcher unvollständiger Kriterien Leistung bemessen wird, gibt es einen starken Anreiz für Leute, mit einem Minimum an Leistung das Maximum an Bewertung anhand dieser Kriterien zu erfüllen. Also ihre Leistung zu minimieren.

Um das kurz zu halten:

When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure. — Goodhart’s law → http://www.draketo.de/zitate#measure-target

Geld und einen Markt zu verwenden, um keinen Konsens über die Kriterien für Leistung zu brauchen, ist eigentlich eine spannende Idee. Das geht aber aus vier Gründen schief:

  1. (1) Es funktioniert als gesellschaftliches Maß für Leistung nur, solange Alle jeweils die gleiche Menge an frei verfügbarem Geld haben (das sie anderen geben können, um deren Leistung zu honorieren).2
  2. (2) Ein Marktsystem erzeugt steigende Ungleichheit selbst bei gleicher Leistung, weil größere Strukturen Produkte billiger erzeugen können als kleinere (anders gesagt: Die Kosten sinken bei größerer Skalierung). Wer mehr Geld hat verdient bei gleicher Leistung mehr Geld als wer weniger Geld hat.3 Ein Marktsystem zerstört hierdurch automatisch die Grundlage, die es selbst braucht, um überhaupt irgendeinen gesellschaftlichen Wert bemessen zu können.
  3. (3) Wer mit einer bestimmten Menge an Geld etwas schafft, das viele als Leistung ansehen, kann nicht automatisch mit mehr Geld mehr davon schaffen. Wer in einem Jahr (also mit etwa 30k-100k€) eine tolle CD produzieren kann, kann mit dem hundertfachen an Geld nicht automatisch in einem Jahr hundert tolle CDs produzieren.
  4. (4) Wer Geld bekommt, kann das Geld wieder ausgeben und erhält damit im Endeffekt von den Gebenden eine gewisse Entscheidungskompetenz darüber zugesprochen, welche Handlungen als Leistung gelten. Diese Gleichsetzung von eigener Leistung und der Fähigkeit zur Beurteilung von Leistung ist allerdings eine Illusion. Etwas schaffen zu können, das viele als Leistung sehen, bedeutet nicht, beurteilen zu können welche anderen Handlungen als gesellschaftliche Leistung gelten sollten. Wer tolle Bilder malt, wird nicht automatisch das Geld für etwas ausgeben, das die Gebenden als gesellschaftliche Leistung ansehen.

Allerdings gibt es Methoden, die diese Selbstzerstörung und Verzerrung von Marktsystemen reduzieren und damit den Markt besser machen als z.B. ein Feudalsystem, in dem die Herkunft darüber bestimmt, wer Leistung bewerten darf. Dazu gehören unter anderem

  1. Mechanismen, durch die Alle zumindest eine gewisse Menge an frei verfügbarem Einkommen haben und so an der Bewertung von gesellschaftlicher Leistung teilnehmen können; siehe Punkt (1).
  2. Eine Vermögenssteuer, die bei ausreichender Höhe verhindert, dass langfristige Ungleichheit trotz gleicher Leistung entsteht, durch die der Markt die Voraussetzung zerstören würde, die er selbst braucht, um als Bewertungsmaßstab für Leistung dienen zu können; siehe Punkt (2),
  3. Eine Gewinnsteuer, mit der ein Teil des nicht für die Produktion benötigten (überschüssigen) Geldes demokratisch verteilt wird. Vielleicht auch eine teilweise Zweckbindung des bezahlten Geldes (wie sie z.B. bei gemeinnützigen Vereinen besteht), oder die gesellschaftliche Freigabe des Produktes, sobald seine Produktionskosten finanziert sind (wie es z.B. bei mancher freier Software und freier Kultur bereits gemacht wird). Dadurch wird die Verzerrung kompensiert, die entsteht, weil die Bezahlung für ein Produkt nicht immer diesem Produkt zu Gute kommen kann; siehe Punkt (3).
  4. Eine Einkommens-, Umsatz- und Mehrwertsteuer mit der ein Teil des bezahlten Geldes in die demokratische Bewertung zurückgeführt wird. Dadurch werden die Folgen dessen verringert, dass ein Markt fälschlicherweise auf der Grundannahme aufbaut, eigene Leistung wäre gleichbedeutend mit der Fähigkeit, die gesellschaftliche Leistung Anderer zu bewerten; siehe Punkt (4).

Mit diesen Korrekturen kann ein Markt gut funktionieren. Allerdings produziert er immer den Anreiz für starke Marktteilnehmer, daran zu arbeiten, diese Korrekturen zu reduzieren und so ihre eigene Bewertungsmacht zu erhöhen. Es ist also ständige politische Arbeit nötig, um einen Markt als dezentralen Bewertungsmaßstab für gesellschaftliche Leistung am funktionieren zu halten — gegen die durch ihn am besten Bewerteten. Ein Markt ist daher immer mit Vorsicht zu genießen und jede Ausweitung der Macht eines Marktes kann dessen eigene Grundlage zerstören.

(Diese Gedanken sind noch nicht ganz abgeschlossen. Zum Beispiel fehlen Überlegungen zum Geldsystem als erheblicher staatlicher Förderung des Marktes und Überlegungen zu staatlicher Regulierung, um Informationsdefizite und -ungleichgewichte zwischen Marktteilnehmern zu reduzieren)


  1. Hintergrund zu den Grundwerten: http://www.1w6.org/deutsch/anhang/gedanken/was-gibt-dir-kraft 

  2. Punkt 1 gilt, solange wir annehmen, dass bei der Bewertung von Leistung die Meinung aller Menschen mit gleichem Gewicht eingehen soll. Diese Annahme stammt aus dem Gleichheitssatz, einer der zentralen Grundlagen der Demokratie, die durch Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für Deutschland rechtlich bindend ist. 

  3. Das Problem wird am besten durch den Spruch gezeigt "Die erste Million ist die schwerste": http://www.draketo.de/die-erste-million-ist-die-schwerste 

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