Da jeder, der etwas Ahnung hat, fast jeden Grad an Internetzensur umgehen kann (solange es noch Bereiche gibt, die nicht zensiert sind, egal wie klein die sind, kann damit wieder ein vollständig funktionierendes und daher unzensiertes Netz aufgebaut werden), trifft das Gesetz zur Internetzensur langfristig wirklich nur Unbeteiligte.
Es ist damit das erste Gesetz, das nur Kollateralschaden bewirkt.
Selbst die Vorratsdatenspeicherung könnte von Zeit zu Zeit doch nützlich sein (allerdings weit weniger als sie Schaden verursacht). Die Internetzensur dagegen wird nur diejenigen treffen, die dem Wortlaut des Gesetzes nach nicht getroffen werden sollen.
Wäre es ein "Gesetz zum Verstecken von Straftaten [1] im Internet vor Unbeteiligten", dann würde es wirken, wie es soll. Aber als "Gesetz gegen die Verbreitung von Kinderpornografie" ist es völlig wertlos.
Daher wirkt es wie eine Streubombe, die das anvisierte Ziel immer verfehlt, dafür aber eine maximale Menge an Kollateralschaden in der Zivilbevölkerung verursacht. Und die Zivilbevölkerung sind dabei alle, die in Deutschland leben, zusammen mit der Informationsfreiheit, einem der Grundpfeiler unserer Demokratie.
Also einen Herzlichen Glückwunsch an unsere Frau von der Leyen, den Herrn Schäuble und die Deppen von CDU und SPD: Sie haben das Kunststück vollbracht, das misslungenste Gesetzeswerk zu schreiben, das ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe.
Nicht nur verfehlt es völlig den Zweck, für den es geschrieben wurde, es treibt außerdem durch sein unglaubliches Medienecho wirkliche Verbrecher in gesicherte Netze, in denen die Polizei keine Chance hat, sie aufzuspüren, und schränkt dabei noch jeden einzelnen Deutschen in seinen Grundrechten ein. Zusätzlich versteckt es Diskrepanzen zwischen unseren Gesetzen und denen von anderen Ländern, so dass es die internationale Harmonisierung der Gesetzgebung im Internet behindert. Auf die Art behindert es den Internationalen Kampf gegen Kinderpornografie effektiv mehr als es ihm hilft.
Es fällt mir schwer, mir ein Gesetz vorzustellen, das sein erklärtes Ziel weiter und effektiver verfehlt.
Als hätten sie mit den Zensurversuchen in Deutschlang nicht schon genug technische Unkenntnis oder Demokratiefeindlichkeit gezeigt, versuchen die Befürworter der Zensur es jetzt in der EU. Wundert es irgendjemanden, dass schon wieder Kinder dafür herhalten müssen?
Netzpolitik [2] hat daher gerade einen Aufruf [3] veröffentlicht, uns gegen die Zensurpläne zu engagieren. Und wie wir den verlogenen Teil unserer Regierungen inzwischen kennen, haben wir nicht viel Zeit zu reagieren: Die Anhörung ist am 28. und 29. September im (Bürger-)Rechtsausschuss (LIBE) des Europaparlamentes: “Combating sexual abuse, sexual exploitation of children and child pornography” ⇒ Wir schützen Kinder durch organisiertes wegschauen [1].
Wie gefährlich das ganze ist: „Die überwältigende Mehrheit der eingeladenen Sachverständigen dürfte mehr oder weniger klar Pro Netzsperren sein.“ – Netzpolitik.
Und das heißt für uns: Wir müssen unsere Abgeordneten davor bewahren, auf die gezielt zur Desinformation ausgewählten „Sachverständigen“ hereinzufallen.
Wie schon hier in Deutschland geht es nicht um den Schutz der Kinder. Es geht um die Kontrolle des Kommunikationsraumes Internet.
Und sollten sie auf EU-Ebene Zensur beschließen, haben wir hier in Deutschland ja schon das passende Zensur-Gesetz, das unsere Regierung zwar nicht nutzen will, aber nicht abgeschafft hat, so dass die Provider die Infrastruktur schaffen mussten. Wenn die EU sie zwingen würde, es gegen den eigenen Wunsch doch zu nutzen, dann wäre das doch irgendwie sehr praktisch für die regierenden Zensurbefürworter. „Wir wollten das ja eigentlich nicht (mehr), aber wenn es die EU sagt…“
Nachdem sie mit dem offenen Angriff auf das freie Netz gescheitert sind, versuchen sie es über die Hintertür. Und so ein verlogenes Verhalten darf nicht zu Erfolg führen.
Wenn ihr ihren also ihre Hintertür zuschlagen wollt, kontaktiert eure Abgeordneten. Um dabei zu helfen, hat Netzpolitik neben dem Aufruf [3] (lesenswert!) auch ein PDF mit den Adressen der betroffenen EU-Parlamentarier [4] aus den jeweiligen Ausschüssen veröffentlicht. Das sind diejenigen, die schon vorher darüber reden und damit diejenigen, die in der Abstimmung vermutlich Wortführer werden.
Wenn wir sie früh genug darüber informieren können, wie sinnlos die Sperren sind, und sie überzeugen können, dass Netzsperren unserer Gesellschaft schaden, haben wir schon einen großen Schritt zum Schutz des freien Netzes geschafft.
Diese Mail habe ich heute Frau Franziska Katharina Brantner [5] geschickt, einer EU-Abgeordneten der Grünen im Ausschuss für „Women’s Rights and Gender Equality“.
Sehr geehrte Frau Brantner,
Am 28. und 29. September sind Sie im Rechtsausschuss (LIBE) des Europaparlaments zu einer Anhörung zum Schutz von Kindern vor Missbrauch und Ausbeutung eingeladen.
Nach den Titeln und Sprechern der Vorträge zu urteilen1 werden Befürworter von Internetzensur versuchen, das Ziel des Schutzes von Kindern zu nutzen, um für Kinder unwirksame, teure und für die Demokratie gefährliche Internetsperren zu bewerben.
Ich könnte jetzt viele Seiten schreiben, warum Internetsperren Kindern eher schaden als ihnen zu nutzen, und der Gesellschaft sowieso, aber das haben bereits genug andere getan2 und ich weiß, dass Ihre Zeit wertvoll ist. Daher will ich mich auf zwei Punkte beschränken:
Wie (un-)wirksam Zensur ist:
Mein eigener Rechner nutzt seit langem alternative DNS-Server, so dass ich die Sperre zu Hause nichtmal bemerken würde. Das gleiche kann jeder normale Internetnutzer in 30s machen. Und selbst wirklich teure Zensur lässt sich im Internet auch ohne spezielle Kenntnisse schnell umgehen. Die Stichworte dazu sind tor [6], i2p [7] und freenet [8].
Was Zensur bedeutet:
Ein Mann wird auf der Straße mit einem Messer bedroht. Zwei Polizisten sind sofort da und halten ein Transparent davor:
„Illegale Szene. Niemand darf das sehen.“
Der Mann wird ausgeraubt, erstochen und verblutet, denn die Polizisten haben beide Hände voll zu tun.3
Aus diesem Grund möchte ich Sie bitten, sich nicht in die Irre führen zu lassen. Internetsperren sind teuer (nicht nur einmal, sondern bleibend) und unwirksam. Das Geld, dass dafür ausgegeben werden müsste, wäre sehr viel besser in Maßnahmen investiert, die Kindern wirklich helfen. Zum Beispiel Kindergärten.
Und selbst wenn Internetsperren wirken würden, hätten unsere Kinder nichts davon, denn wir würden langfristig das freie Medium Internet verlieren. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Zensur sehr schnell auf andere Bereiche ausgeweitet wird, teils sogar bis zur Zensur von Kritikern der Zensur4. Als werdender Vater will ich nicht, dass meine Kinder in einem Staat ohne das Recht auf freie Meinungsäußerung aufwachsen müssen.
Meine zukünftigen Kinder werden weder durch staatliche Bevormundung, noch durch das Verstecken von Straftaten an anderen Kindern geschützt. Beides hindert sie vielmehr daran, ihr Leben selbstbewusst und mit einem wachen Auge für reale Gefahren in die eigenen Hände zu nehmen.
Ich hoffe, ich konnte ihnen mit meiner Mail vermitteln, warum Zensur Kindern nichts bringt aber sowohl den Kindern als auch der gesamten Gesellschaft schadet.
Mit freundlichen Grüßen,
Arne Babenhauserheide
--
Unpolitisch sein
heißt politisch sein,
ohne es zu merken.
– Arne (http://draketo.de [9])
Die Vorträge zu “Combating sexual abuse, sexual exploitation of children and child pornography” [10] ↩
Informationen zur Sinnlosigkeit und zum Missbrauch von Zensur gibt es z.B. vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) [11] ↩
Zensur ist Irrsinn – am Beispiel von Straßenkriminalität [12] ↩
Wofür Zensur genutzt wird: Kinderporno-Sperren im internationalen Vergleich [13] ↩
Links:
[1] https://www.draketo.de/licht/politik/zensur-ist-irrsinn-straszenkriminalitaet
[2] http://www.netzpolitik.org
[3] http://www.netzpolitik.org/2010/mitmachen-die-netzsperren-plane-in-der-eu-stoppen/
[4] http://www.netzpolitik.org/wp-upload/eu-Abgeordnete.pdf
[5] http://www.franziska-brantner.eu/
[6] http://www.torproject.org/index.html.de
[7] http://www.i2p2.de/
[8] http://freenetproject.org
[9] http://draketo.de
[10] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+COMPARL+LIBE-OJ-20100928-1+01+DOC+XML+V0//EN&language=DE
[11] http://ak-zensur.de/gruende/
[12] http://draketo.de/licht/politik/zensur-ist-irrsinn-straszenkriminalitaet
[13] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kinderporno-Sperren-im-internationalen-Vergleich-199060.html