Die erste Million ist die schwerste: Der strukturelle Fehler unseres Wirtschaftssystems

Unter Reichen Leuten geht der Spruch um „die erste Million ist die schwerste“. Dieser Spruch zeigt deutlich wie kein weiterer den zentralen strukturellen Fehler unseres aktuellen Wirtschaftssystems, führt aber auch zu möglichen Lösungen.

Unser Wirtschaftssystem erzeugt und steigert Ungleichheit zwischen Leuten mit gleicher Leistung

Wenn die erste Million die schwerste ist, bedeutet das, dass jemand, der eine Million hat, leichter einen weiteren Euro verdienen kann, als jemand, der keine Million hat.

Nennen wir sie mal Herrn M. und Herrn A..

Nun nehmen wir an, dass beide einen Euro ausgeben. Der Euro ist jetzt frei im Wirtschaftssystem. Da aber die erste Million die schwerste ist, ist es wahrscheinlicher, dass dieser Euro am Ende wieder bei Herrn M. landet, und unwahrscheinlicher, dass er bei Herrn A. landet.

Herr M. wird also reicher, Herr A. wird ärmer. Abstrakt gesehen: Reiche werden bei gleicher Leistung reicher und Arme werden ärmer.

Da die erste Million die schwerste ist, können wir vernachlässigen, dass M auch mehr ausgibt als Herr A. Herr M. kann sein Geld leichter vermehren als Herr A. Damit Herr M. reicher wird, muss irgendwer ärmer werden - in unserem Fall also Herr A..

Nun fangen wir mit Frau B. und Frau C. an, und wir nehmen an, dass nicht nur die erste Million die schwerste ist, sondern auch der erste Euro. Beide haben anfangs gleich viel Geld. Durch etwas Glück bekommt Frau B. mehr Geld als Frau C. und kann dadurch leichter Geld verdienen als Frau C.

Beide leisten das gleiche, aber da Frau B. mehr Geld hat als Frau C., kann sie leichter mehr verdienen. Dadurch wird Frau B. reich und Frau C. arm.

Ein System, in dem es mit zunehmendem Reichtum leichter wird, den Reichtum zu erhöhen, führt also automatisch zu wenigen Reichen und vielen Armen Leuten.

Wenn Reichtum vererbt werden kann, führt so ein System außerdem zu einer Klassengesellschaft, in der die Geburt darüber entscheidet, ob man immer ärmer oder immer reicher wird.

Ein Wirtschaftssystem sollte die Ungleichheit bei gleicher Leistung verringern

Da nun aber zu ungleiche Vermögensverteilung jede Demoktratie zerstört, steht das im Widerspruch dazu, dass unser Staatssystem eine Demokratie sein soll, da Vermögende mehr Einfluss auf die Medien haben als arme Leute und die Berichterstattung in den Medien die Wahlentscheidung aller beeinflusst.

Wenn wir also unsere Staatsform ernst nehmen und erhalten wollen, brauchet wir ein Wirstschaftssystem, das Vermögensungleichheit verringert.1

Konkrete Maßnahmen dazu vorzuschlagen, geht weit über die Zielsetzung dieses Beitrages hinaus. Ich möchte aber eine einfache Richtlinie aufzeigen, mit der bei jeglicher Maßnahme geprüft werden kann, ob sie in die richtige Richtung geht.

Richtlinie: Die erste Million muss die Leichteste sein

Jeder zusätzliche Euro Vermögen muss schwerer zu verdienen sein, als der vorherige. Gute Maßnahmen führen also dazu, dass jemand mit viel Geld sich mehr anstrengen muss, um es zu vermehren, als jemand mit wenig Geld.

Dadurch wird das oben beschrieben Verhältnis zwischen Herrn M. und Herrn A. umgekehrt: Wenn beide gleich viel leisten, fließt jeder Euro, den sie ausgeben, eher zu Herrn A. als zu Herrn M., so dass Herr A. Stück für Stück mehr Vermögen erhält und Herr M. Stück für Stück an Vermögen verliert, bis beide gleich viel Besitzen.

Auf einen griffigen Satz gebracht heißt es: „Die erste Million muss die Leichteste sein“ oder exakter: „Jede weitere Million muss schwerer zu verdienen sein als die vorherige“.

Wenn unsere Wirtschaft diesem einfachen Leitsatz genügen würde, hätten wir das Problem der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich gelöst. Die Schere würde sich langsam wieder schließen, und gleichzeitig könnten Leute, die sehr viel leisten, auch leichter reich werden, denn sie kämen leichter an das Geld derjenigen, die viel mehr haben als sie selbst.

Nochmal als Erinnerung: Das ist eine Richtlinie, anhand der wir prüfen können, ob eine politische Maßnahme zu größerer Wirtschaftlicher Gleichheit oder zu größerer Ungleichheit führt. Wir können mit ihr konkrete Maßnahmen auf die Probe stellen.23

Fazit, oder: „Was uns das nützt“

Wenn also das nächste Mal eine Wirtschaftsreform vorgeschlagen wird, können wir einfach fragen „Wird dadurch die zweite Million schwerer im Vergleich zur ersten oder wird sie leichter?“. Wenn die nächste Million schwerer wird als die vorherige, führt die Reform zu größerer Gleichheit und mehr echter Demokratie. Wenn die nächste Million leichter wird, führt die Reform zu größerer Ungleichheit und schadet unserer Demokratie.

Statt Million können wir natürlich auch einfach nach dem nächsten Euro fragen: Wenn der zweite Euro Vermögen schwerer zu verdienen ist als der erste und der dritte schwerer als der zweite (und so weiter, bis hoch zu Milliarden), dann führt das Wirtschaftssystem zu größerer Gleichheit.

Und nur dann ist es mit einer Demokratie langfristig verträglich (wie im bereits oben verlinkten Artikel beschrieben).

Gleichzeitig führt es dazu, dass Leute leichter reich werden können, wenn sie gute Ideen haben. Das Innovationspotential unserer Gesellschaft wird also gesteigert.

Die einzigen, für die eine in diesem Sinne demokratisch sinnvolle Wirtschaftsreform unangenehm ist, sind diejenigen, die schon jetzt reich sind, denn die Reichen bekommen dadurch mehr Konkurrenz. Sie können sich nicht mehr in der Reichtumshängematte ausruhen und darauf bauen, dass sich ihr Geld schon von selbst vermehren wird.


  1. Harald Schumann hat bei den Grünen einen Vortrag dazu gehalten, wie sehr heutzutage wirtschaftliche Macht missbraucht wird (Video, Transscript). Er schloss mit der Aussage von Walther Eucken: „Es ist also nicht der Missbrauch wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen. Zu bekämpfen ist die wirtschaftliche Macht selbst.“ 

  2. Ein Bänker (Berater vermögender Privatkunden…) und enger Freund von mir hat mir dazu gesagt „es gibt eine Gravitation des Geldes. Wir können sie nicht aufheben, nur abschwächen, weil wer mehr Geld hat immer leichter mehr verdienen kann als der, der weniger hat.“ Ob er Recht hat, kann ich nicht vollständig beantworten. Er meinte, dass aber eine Mindestmaßnahme die Begrenzung von Erbschaften wäre, so dass wenigstens jeder mit in etwa den gleichen (finanziellen[4) Chancen beginnt. Vielleicht hat er Recht, vielleicht aber auch nicht. Ich denke, wir können das Wirtschaftsystem so verändern, dass die „Gravitation des Geldes“ umgekehrt wird. Wer von uns Recht hat, kann nur die Zeit zeigen - und unser Kampf für ein besseres Wirtschaftssystem. Auch er sagt allerdings, dass wir diese „Gravitation“ verringern und so die Unfairness des Wirtschaftssystems abschwächen können. 

  3. Ein sehr schöner Artikel, der diesen Effekt wundervoll anschaulich zeigt und erfahrbar macht, ohne auf Erfahrungswerte oder Skaleneffekte in der Realwirtschaft zurückzugreifen, ist Why the super rich are inevitable (English). Er beschreibt das Yard Sale Model, das Anirban Chakraborti 2002 im Artikel Distributions of money in model markets of economy im International Journal of Modern Physics C vorgestellt hat. Er zeigt auch, wie eine für alle gleiche Vermögenssteuer das System stabilisiert, greift dabei aber immernoch zu kurz: die Vermögenssteuer kann auch progressiv sein. Wer mehr hat zahlt dann auch relativ zum Vermögen mehr. 

  4. Es gibt auch nicht-finanzielle Ungleichgewichte wie Bildung durch die Eltern und Kontakte. Die Ungleichgewichte in der Bildung können durch gute staatliche Schulen abgemildert werden. Für die Ungleichgewichte in Kontakten braucht es Diskriminierungsverbote und Mittel gegen Preisabsprachen u.ä. - das ist allerdings schon viel schwerer. Es wird keine perfekte Gleichheit entstehen, aber die brauchen wir auch nicht. Das System muss nur so fair sein, dass sich keine Schicht von Reichen bilden kann, die automatisch reicher werden. Stattdessen müssen Reiche, die wenig leisten, automatisch ärmer werden. Danke an Oliver Korpilla, dass er die sozialen und psychischen Aspekte eingebracht hat. 

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IWF: Gleichheit der Einkommensverteilung fördert Wachstum

Es ist ein seltsames Gefühl, wenn einem große Finanzinstitutionen Recht geben, vor allem wenn es um Fragen der Gleichheit geht…1

Eine Studie des IWF sagt, dass Einkommens-Gleichheit der wichtigste Faktor für das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft ist: Equality and Efficiency.

Ihre Schlussfolgerung ließe sich auch einfach schreiben als: Der wichtigste Faktor, um langfristiges Wachstum zu sichern, ist, dass die Einkommen hinreichend gleich verteilt sind. Oder: Um langfristiges Wachstum zu sichern, muss die erste Million die leichteste sein. Damit erhöht in der Vergangenheit höheres Einkommen nicht das aktuelle Einkommen und die Einkommensverteilung bleibt langfristig gleichmäßig.2

Hoffen wir mal, dass sich unsere Politiker das zu Herzen nehmen.

Falls du das hier twittern/denten willst:

Hiermit sind für t→∞ die Einkommen gleich. Besitz unterscheidet sich um einen konstanten Faktor: Die messbare Leistung: http://ur1.ca/818rf


Unpolitisch sein
heißt politisch sein
ohne es zu merken
- Arne Babenhauserheide


  1. Ich frage mich, wie sehr es schon im Argen liegen muss, damit der IWF es wagt, sowas zu veröffentlichen. Vielleicht fühlen sich einige inzwischen sicher genug dafür. Oder der IWF wird bald der Unterstützung der Reichen verlieren (und dadurch für die Weltwirtschaft irrelevant werden: Abhängigkeiten sind in dem Fall Schwächen). 

  2. Genauer: Durch diese Maßnahme sind im Limes unendlicher Zeit die Einkommen gleich. Der Besitz unterscheidet sich damit höchstens um einen konstanten Faktor, der die in Geld messbare Leistung widerspiegelt. Details gibt es im Artikel (scroll einfach hoch). 

Bin interessiert an Deinen

Bin interessiert an Deinen Gedanken zu einem alternativen Wirtschaftssystem. Also an dem Weg zu der Lösung, die Du hier beschrieben hast. Hoffe, Du wirst noch einen Artikel darüber veröffentlichen.

Dauer

Danke für deine Rückmeldung! Es freut mich, dass mein Artikel für dich interessant ist!

Bis ich weitere Artikel dazu schreibe, wird es vermutlich einige Zeit dauern. Den Sachverhalt wirklich zu erfassen und grundlegende Probleme dahinter zu finden, die praktisch geändert werden können, ist nämlich leider nicht wirklich einfach. Oberflächliche Probleme zu sehen ist leicht. Die Hintergründe zu verstehen ist schon deutlich schwerer. Dann griffige Aussagen zu finden, mit denen ich das, was ich verstehe, für andere verständlich machen kann, braucht einfach einiges an Zeit und ist verdammt schwer - teils sogar Glückssache.

Ich habe den Inhalt dieses Artikels vor über einem Jahr in einer langen spätabendlichen Diskussion nach einer Rollenspielrunde mit einem Freund in Karlsruhe gefunden. Bis ich den Artikel geschrieben habe (das Thema nochmal verinnerlicht habe und verständlich schreiben konnte), dauerte es gut ein Jahr. Und bis ich ihn dann veröffentlicht habe, dauerte es nochmal einige Wochen.

Mit diesem Artikel habe ich aber endlich eine Grundlage für die Verminderung der Ungleichheit, mit der ich arbeiten kann und die ich referenzieren kann.

Übrigens ist mein Artikel wie fast alles andere hier frei lizensiert, du kannst ihn also weitergeben, ändern, drucken, usw. solange du ihn unter der GPL lässt und deine eigenen Änderungen daran frei gibst.


Unpolitisch sein
heißt politisch sein
ohne es zu merken
- Arne Babenhauserheide

Danke für Deine

Danke für Deine ausführliche Antwort. Gut Ding will Weile haben, zeigt sich wieder einmal. :) Mach weiter so, ich lese Deine Beiträge immer wieder gern.

Das freut mich! Und danke

Das freut mich!

Und danke nochmal für deine Rückmeldung!

Nebenbei: Wenn du Leute kennst, die meine Texte lesen wollen, ohne dass ihre IP in Serverlogs auftaucht: Jeweils meine neusten Texte gibt es auch in Freenet in den drak-sites:

→ USK@yL5aXnqYWD0ikwxMxt64GbR70GBZuUCHyGc98UnEVrI,6GigsjBdEVTDLF-s8WQElrik3KbZzckK~q43Gh28z~0,AQACAAE/drak-sites/736/1.html

Inhalt abgleichen
Willkommen im Weltenwald!
((λ()'Dr.ArneBab))



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