Ich habe heute meinen Kindern vorgelesen, wie früher Bücher geschrieben wurden. Über Syrien, wo die erste Schrift erfunden wurde, und dann über Mönche, die Bücher von Hand abschrieben.
Meine Tochter war schon eingeschlafen, als ich von der Bibliothek von Alexandria erzählte. Tränen schossen mir in die Augen und mein Hals verengte sich. Ich brauchte einige Zeit, bis ich wieder sprechen konnte.
„In der Bibliothek von Alexandria gab es viele tausend Bücher, doch sie sind zerstört.“
Mein Sohn fragte, „Wieso können die Leute sie nicht einfach wieder schreiben?“
„Weil sie schon lange tot sind. Die Bücher enthielten ihr Wissen und ihre Träume, aber sie sind mit der Bibliothek verschwunden. Leute haben Kriege geführt und wussten nicht, was sie damit kaputt machen.“
Er schluchzte, „Wieso machen Leute Kriege?“
„Manche wollen etwas, das andere haben, und versuchen es wegzunehmen, statt gemeinsam etwas aufzubauen.“
„Ich will, dass die Bücher wieder da sind!“
„Das geht nicht, wir wissen nicht, was darin stand. Aber heute haben wir wieder ganz viele Bücher, mehr, als es jemals in Alexandria gab. Und wir können die Bücher drucken und kopieren, so dass es viel schwerer ist, ein Buch zu zerstören. Solange es auch nur eine Kopie gibt, können wir sie wieder drucken und ganz viele neue Kopien schaffen, die viel schwerer zu zerstören sind.“
Ich erzählte ihm dann von der Druckerpresse, und davon, dass heute sogar ich selbst Bücher drucken lassen kann, „wie die kleinen Hefte, die drüben liegen“. Und von der Saatbank in Syrien, wo, als der Bürgerkrieg zu nahe kam, Leute das Saatgut gerettet und in der Arktis in Sicherheit gebracht haben.
„Aber warum bringen sie sie dahin, da gehen die doch kaputt?“
„Die lagern sie dort, weil sie da sicher sind, und wenn sie sie kopieren wollen, bringen sie sie in ein Land, in dem sie wachsen können, pflanzen sie ein, lassen sie wachsen und lagern die neuen Samen wieder sicher. Es gibt heute viele Leute, die wissen, wie wichtig Wissen ist, und darauf achten, dass es erhalten bleibt. Und jetzt ist Schlafenszeit. Schlaf gut, und Träum was Schönes. Ich hab dich ganz arg lieb.“
„Schlaf gut und träum was Schönes. Ich hab dich auch ganz arg lieb. Kann ich von der Bibliothek träumen, und dem, was darin ist? Und du auch, und Mama und Nena?“
„Vielleicht kannst du das. Das wäre schön.“
„Ich hoffe ich träum von der Bibliothek und dem, was drin ist. Und ihr träumt auch von der Bibliothek und dem, was drin ist.“
„Das hoffe ich auch. Ich hab dich ganz arg lieb.“
„Ich hab dich auch ganz arg lieb.“
Dann hat er sich an mich gekuschelt, die Augen zugemacht und ist eingeschlafen. Ich bin völlig gerührt noch einige Zeit bei den beiden liegen geblieben. Und habe gespürt, wie wichtig Kopieren für das Wissen ist. Und wie wichtig Wissen ist. Und dass ich meinen Kindern noch nicht erzählen sollte, wie heute Leute versuchen, Kopien zu verbieten. Dass meine Erklärungen zu einfach waren, dass wir Wissen erhalten aber auch erweitern und verfeinern können müssen.
Und dass das Wissen, das Verstehen, und die Träume der Menschheit ein Schatz sind, den wir bewahren müssen, der mehr wert ist als das Geld, das jemand damit kurzfristig verdienen kann. Und dass wer immer die Möglichkeit sucht, an einem Ort entscheiden zu können, dass ein Buch verschwindet, die Macht will, trotz freier Kopierbarkeit, trotz Druckerpresse und Digitalisierung, jede einzelne Kopie eines Buches zu zerstören — dafür zu sorgen, dass etwas aus dem Wissen der Welt getilgt wird. So wie es damals mit der Bibliothek von Alexandria möglich war, von der wir laut Wikipedia nicht einmal wissen, wie sie verschwunden ist.
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