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Sprache, die kein Geschlecht impliziert

Wenn wir als Schreibende unsere Worte so wählen, dass sie kein Geschlecht implizieren, werden Frauen stärker mitgedacht. Damit leisten wir einen Beitrag zur Chancengleichheit der Geschlechter. Wir retten nicht alleine die Welt, aber wir leisten einen Beitrag in dem Bereich, in dem wir Einfluss haben.


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Am 27. August hat F.B. Knauder veröffentlicht, wie er einen Roman geschlechtsneutral gefasst hat, ohne dabei auf Binnen-I, Sterne, Unterstriche oder Doppelpunkte zurückzugreifen. Das hat mich dazu gebracht, endlich einen Text von April dieses Jahres abzutippen:

Praktische Mittel zum unauffälligen geschlechtsneutralen Schreiben in Sachtexten. Gendern mit möglichst wenig Irritation.

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Vorrede

Für mich ist dieser Text ein Versöhnungsangebot an all die, die wirklich ein Problem mit Änderungen der Sprache haben. Es gibt Leute, die wirklich weniger flexibel sind, die sich schon kaum an das Binnen-I gewöhnen konnten und durch die immer neuen Formen überfordert werden. Ich habe seit 2010 das Ein-Würfel-System (Rollenspiel) im generischen Femininum geschrieben, weil sich Leute unglaublich über diese Formen aufgeregt haben. Inzwischen haben auch Andere diesen Weg gewählt, ich selbst habe allerdings weiter gesucht, um einen Weg zu finden, der niemanden ausschließt.

Doch zuerst: Sprache wirkt. Unsere Wortwahl beeinflusst deutlich, wer bei einer Beschreibung mitgedacht wird.

Wenn Leute nach ihren Lieblingsschauspielern gefragt werden, nennen sie vor allem Männer, wenn sie nach Schauspielerinnen und Schauspielern gefragt werden, nennen sie etwa gleich viele Männer wie Frauen. Eine Auswertung eines solchen Versuches sieht so aus:

schauspielerinnen.jpg

Jeder Schwarze Punkt zeigt die Frauen-Quote der Nennungen einer Testperson. Der Querbalken den Durchschnittswert (gewichtet nach Zahl der Antworten), nämlich zuerst 30%, dann 40% und zuguterletzt beim Binnen-I sogar 58%. — von Markus Zachbauer

Update (2021): Quarks & Co hat 2021 ein noch stärkeres Experiment beschrieben, das die Verzögerung bis zur Antwort verwendet, um auf geschlechtsgebundene Vorstellung zu prüfen: Was bringt Gendern wirklich? (bei 2:08)

Einen Überblick zum Stand der Forschung bietet der Artikel Can Gender-Fair Language Reduce Gender Stereotyping and Discrimination.

Aktuell ist unsere Gesellschaft im Mittel unfair gegenüber Frauen. Am deutlichsten sieht man das am Gender-Pay-Gap in Baden-Württemberg: Eine Frau verdient im Durchschnitt 1000€ Brutto weniger als ein Mann. Das ist in etwa der Unterschied zwischen einer Frau ohne Schulabschluss und einer Frau mit Hochschulabschluss. Ein Studium bringt in Baden-Württemberg also so viel Zusatzeinkommen wie zwei Hoden.

Ich sage bewusst „im Mittel“, weil im Osten dieser Gender-Pay-Gap deutlich kleiner ist: Männer und Frauen verdienen im Osten beide etwas weniger als Frauen im Westen.

Natürlich kann man jetzt rumrechnen und sagen, dass Frauen halt schlechter bezahlte Jobs machen (dann wird die Lücke kleiner aber nicht null), man kann das ganze aber auch umdrehen und fragen, warum wir als Gesellschaft Berufe schlechter bezahlen, die vor allem Frauen machen. Was als wertvolle Beschäftigung gilt, ist alles andere als objektiv.

Und natürlich liegt das nicht alles an der Sprache, der Anteil der Sprache an der Benachteiligung von Frauen ist allerdings inzwischen belegt. Und Sprache ist das Werkzeug, mit dem wir Schreibende arbeiten.

Was können wir als Schreibende also machen, um Benachteiligung von Frauen zu reduzieren?

Wir können ändern, worüber wir schreiben, und wir können die Sprache ändern, die wir selbst verwenden. Um letzteres geht es hier, denn wie es Ursula K. Le Guin so treffend sagte: „…Veränderungen beginnen oft in der Kunst, und sehr oft in unserer Kunst: Der Kunst der Worte.“

Besser kann ich es nicht ausdrücken, daher ist jetzt genug der Vorrede.

Tipps für Geschlechtsneutrale Sprache.

Zusammenfassung

Neutrale Wortwahl:

  • Alle statt Jeder.
  • Leute für undefinierte Gruppen.
  • Wörter mit -enden (aktiv) oder -te (passiv/vergangenheit).
  • -schaft für abgeschlossene Gruppen
  • -kraft für Leute nach Tätigkeit oder Fähigkeit
  • -ung für Leute nach Rolle / Funktion
  • Online Synonymwörterbücher

Weitere Möglichkeiten:

  • Doppelnennung im Fließtext, Genderzeichen in Aufzählungen
  • Einzelpersonen statt Gruppen
  • Weiblich und männlich konnotierte Wörter nach Kontext

Was hier fehlt: Hier geht es vorrangig um Diskriminierung, die durch Bevorzugung eines Geschlechtes unserer Sprache entsteht. Doppelnennung hilft nicht, die Sichtbarkeit derer zu steigern, die zwischen diesen Polen sind, oder auf die keins dieser Geschlechter wirklich passt. Eine inklusive Anrede ist ein Erster Schritt. Wenn ihr in dem Bereich helfen wollt, ist ein weiterer Schritt, beim Schreiben auf eine realistische Verteilung der Geschlechter und der sexuellen Ausrichtung zu achten. Das gibt es auch zum Drucken (Seite 22).

Update: Die Deutschen Presseagenturen nutzen jetzt auch geschlechtsneutrale Sprache: Nachrichtenagenturen wollen diskriminierungssensibler berichten

Kommentare

Fußnoten:

1

Es gibt hier Feinheiten zwischen „was wir gerade tun“ und „wer wir sind“. In manchen Texten ist diese Unterscheidung kritisch. Beispiel: „In der Kneipe sah ich Studierende“. Das sind auf ihre Bücher konzentrierte Leute. Wenn solche Stellen Feiernde bezeichnen sollen, die an der Uni eingeschrieben sind, eignet sich je nach Kontext entweder Doppelnennung („Studentinnen und Studenten“) oder eine Gap-Form („Student:innen“ oder „Student*innen“). Umgekehrt ist „Studierende“ oft nicht nur der Neutrale, sondern auch der präzisere Ausdruck: ich halte meiner Vorlesung vor Studierenden. Das sind die, die aktuell studieren.

ArneBab 2020-09-18 Fr 00:00 - Impressum - GPLv3 or later (code), cc by-sa (rest)