Steno: Eindeutig rekonstruierbare Piktogramme

Steno1 strukturiert den Prozess der Vereinfachung der Schrift, so dass sichergestellt ist, dass die für das Verständnis des Inhaltes notwendigen Teile erhalten bleiben.

Mir ermöglicht es gleichzeitig entspanntes, schönes und schnelles2 Schreiben, das ich mein ganzes Leben lang verbessern kann.

Beispiel:   Steno Stufe 23
             „Wir danken dem Käufer des Essens“

In der Schule hatte ich immer Probleme mit der Schönschreibung. Die Schrift war für mich ein Werkzeug, um Informationen festzuhalten. Ich habe daher nicht eingesehen, warum ich Zeit darauf verwenden sollte, meine Buchstaben besonders rund, glatt oder verschnörkelt zu machen. Schließlich waren selbst grausig verstümmelte Buchstaben noch lesbar.

Beim Versuch den Aufwand beim Schreiben zu reduzieren habe ich meine Schrift verkleinert und die Formen der Buchstaben und Wörter reduziert (zum Beispiel wurde die Nachsilbe -ung einfach zu einem angehängten -g, erkennbar durch die Schleife unten).

Ein großer Teil der Schrift war für mich einfach nur Ballast.

Meine Lehrer hatten damit allerdings ihre Probleme, denn natürlich waren meine Kürzungen nur für mich gültig und ich musste erst lernen, welche Teile eines Wortes ich auf jeden Fall brauche, damit es verständlich bleibt, und welche ich weglassen kann (z.B. habe ich gemerkt, dass in meiner Schrift die i-Punkte zum Verständnis notwendig sind. Sie Unterscheiden das „i“ vom „n“ und dem „u“).

Irgendwann bin ich dann auf Steno gestoßen und mit Steno machte es mir plötzlich wieder Spaß, klar und schön zu schreiben, weil hier ein klares Schriftbild nicht mehr im Widerspruch zu schnellem Schreiben stand. Denn in Steno wird sowieso nur geschrieben, was für den Inhalt notwendig ist, so dass es keine Vorteile bringt, Teile wegzulassen.

Ich habe es mir in der Schule mit dem Buch „Stenografie im Selbstunterricht“4 beigebracht und schreibe seitdem hobbymäßig Steno.

In meinem Studium kam mir das für Mitschriebe sehr zu gute, weil ich die Zeit hatte, nicht nur die Tafelaufschriebe zu übernehmen, sondern zusätzlich eigene Gedanken dazu festhalten konnte.

Während der Diplomarbeit habe ich die Grundlagen dann nochmal mit „Steno heute“ wiederholt, um Unsauberkeiten loszuwerden, die ich mir über die Jahre angewöhnt hatte - und um von der Verkehrsschrift zur Eilschrift überzugehen.

Heute schreibe ich die meisten meiner Entwurfstexte5 in Steno - und natürlich mein Tagebuch.

Ich habe mich allerdings immer darüber gewundert, dass Steno nur als Methode zum schnellen Schreiben vermittelt wird, und weder als Kunst, noch als Methode zur sehr effizienten Kodierung von Informationen. Denn was Steno in meinen Augen so besonders macht ist, dass es eine Methode bietet, um Informationen als minimale Piktogramme aufzuzeichnen, die sich mittels weniger Regeln rekonstruieren lassen - jeweils mit verschiedenen Mengen an Kontext.

Dabei sehe ich drei Stufen.

  1. In sich selbst eindeutige Piktogramme. Sie verwenden nur vereinfachte Buchstaben in Lautschrift, eine Vokalkodierung, so dass Vokale nicht einzeln geschrieben werden müssen, und spezielle Kürzel für sehr häufig verwendete Wörter. Für häufige Konsonantenpaare gibt es eigene Zeichen - z.B. für „fr“: Ein f, das unten gerade endet. Schon hier sind Spezialkürzel möglich, die durch Hochstellung hervorgehoben werden. Beispiel:
    Steno Stufe 1
    „Wir danken dem Käufer des Essens“

  2. Grammatikalisch eindeutige Kürzungen. Hier wird alles weggelassen oder gekürzt, das aus dem Kontext erkennbar ist, ohne die Bedeutung des Textes verstehen zu müssen. Dadurch wird z.B. die Doppelverwendung vieler Buchstaben als Kürzel möglich. „fr“ kann dann als „fer“ genutzt werden. Beispiel:
    Steno Stufe 2
    „Wir danken dem Käufer des Essens“, gekürzt zu „(Wir) dank (dem) K(äufr) (des) Essen“ (in Klammern Teile, die jeweils durch ein einzelnes Zeichen repräsentiert werden).

  3. Inhaltliche Kürzung. In dieser höchsten Stufe wird alles weggelassen oder gekürzt, das durch Verständnis des Umliegenden Inhaltes ergänzt werden kann. Teilweise werden ganze Satzteile durch ein einzelnes Kürzel repräsentiert. Hierfür kann ich kein Beispiel geben, weil ich selbst noch nicht so weit bin.

Außerdem gab es früher ganze Bücher mit zusätzlichen Kürzeln, die mit diesen Prinzipien konstruiert waren, teilweise aber auch einfach Wörter durch hochgestellte Kürzel ausdrückten - z.B. können Vorsilbe und Stamm des Wortes genutzt werden, um das ganze Wort zu repräsentieren. Die Kürzel können entweder Stufe 1, 2 oder 3 sein - je nachdem, wie viel Kontext notwendig ist, um das Kürzel eindeutig zu identifizieren. Stenografinnen und Stenografen im Parlament haben darüber hinaus weitere Kürzel — einige auf der Webseite der Parlamentsstenografen dokumentiert.

Anders als die lateinische Schrift ermöglicht Steno mir die stetige Weiterentwicklung meiner eigenen Handschrift als Informationsmedium.

In lateinischer Schrift können wir nur an der Außenwirkung der Schrift arbeiten (also am Schriftbild, damit das für andere besser aussieht) oder unsere Hände trainieren, die gleichen Bewegungen schneller auszuführen. Sobald wir die Schrift selbst optimieren stoßen wir schnell an Grenzen, hinter denen wir unsere eigenen Texte nicht mehr rekonstruieren können, ohne zu wissen, was wir geschrieben haben. Und selbst dann enthält die Schrift noch viel Redundanz, verliert aber oft die für den Inhalt wirklich wichtigen Details.

In Steno dagegen werden die unwichtigen Details explizit identifiziert und weggelassen, so dass die Schrift auf die für den Inhalt wirklich relevanten Teile reduziert wird.

Normale Handschrift wird bei vielen Menschen im Lauf ihres Lebens unleserlicher, weil ein Großteil der darin enthaltenen Information für den Inhalt des Textes unwichtig ist, oder zumindest redundant, was dazu einlädt, Formen wegzulassen oder zu vereinfachen. Allerdings gehen dabei oft Teile des Schriftbildes verloren, die für das Verständnis notwendig wären.

Steno strukturiert den Prozess der Vereinfachung so, dass sichergestellt ist, dass die für das Verständnis des Inhaltes notwendigen Teile der Schrift erhalten bleiben.

Mir ermöglicht es dadurch gleichzeitig entspanntes, schönes und schnelles Schreiben, das ich mein ganzes Leben lang verbessern kann.

Außerdem haben Stenogramme ihre eigene Ästhetik: Sie enthalten die gesamten Informationen in klaren Formen und sind damit fast eine Art Siegel, das die Informationen auf minimale Art repräsentiert. Als Beispiel dafür habe ich den Refrain eines meiner Lieder als komprimiertes Stenogramm aufgezeichnet:

Es gibt so viel zu tun
und so wenig Zeit
und nur ein Leben dafür

Nur ein Leben, Steno

Es sieht aus, wie ein chinesisches Schriftzeichen, aber es steht nicht nur für ein Wort, sondern für eine ganze Strophe eines Gedichtes.

Und Steno ist eine Kunstform, die noch vor 50 Jahren in ganz Deutschland verbreitet war, heute aber fast ausgestorben ist6, obwohl sie immernoch großen Teilen der Bevölkerung Vorteile bringen würde. Aber die Akademiker, die heute am stärksten davon profitieren würden7 (z.B. für schnelle und flexible Mitschriebe und Textentwürfe), haben sie nie gelernt. Denn Stenografie war Sekretärinnen und Kaufleuten vorbehalten, die sie heute durch Computer meist nicht mehr verwenden.

Ich denke aber, Stenografen könnten wieder wichtiger werden, wenn mehr und mehr Firmen merken, dass jeder Computer eine potentzielle Sicherheitslücke ist. Hoffen wir mal, dass es dann noch genug Stenographen gibt, die das alte Wissen weitergeben können…


Links zu Steno


  1. Steno steht für Stenografie (Kurzschrift) und ist nicht zu verwechseln mit Stego: Steganografie (der Kunst, Informationen in anderen Informationen zu verstecken). 

  2. Um meine eigene Geschwindigkeit zu testen, habe ich Testtexte mit im Deutschen häufigen Wörtern getippt und in Steno geschrieben. Beim Tippen komme ich auf 470 Zeichen pro Minute. Beim entspannten Schreiben in Steno auf 250 bis 4008. Allerdings verbrauche ich bei Steno immernoch viel Zeit mit Denken (vor jedem Wort), weil die Umsetzung von Wort in Druckschrift in ein Steno-Kürzel bei mir noch nicht komplett automatisch läuft. Und Steno fühlt sich deutlich entspannter und natürlicher an als Tippen. 

  3. Das Bild ist mit Inkscape erstellt. Dank Glättung der Pfade sieht man nicht so deutlich, dass ich die Zeichen mit der Maus gemahlt habe… ☺ 

  4. Dank Kon Yu aus Freenet habe ich erfahren, dass Stenografie im Selbstunterricht wohl nicht mehr verfügbar ist. Als Alternative funktioniert STENO heute von Drews (die Meinungen auf Amazon gehen dazu sehr auseinander). Das habe ich gelernt, um mein Steno nach ~8 Jahren nochmal auf den Standard zurückzubringen. Es gibt davon auch eine Version für die Eilschrift, die auf dem ersten aufbaut. Es ist allerdings eher Schulungsmaterial (weniger Erklärung, eher praktische Übungen). Ansonsten bietet Bookzilla eine Auswahl weiterer Steno-Lernbücher

  5. Den Entwurf für diesen Text habe ich auf ein gefaltetes DinA4-Blatt geschrieben. Eine der 4 Seiten sieht so aus:
    Steno Seite 1
    (alle 4 Seiten

  6. Heute wird Steno v.a. im Bundestag genutzt, denn ein guter Stenograph schreibt von Hand eineinhalb mal so schnell wie der Weltrekordhalter des Tippens auf der normalen Tastatur. Es gibt Stenomaschinen, aber auch die können nur etwa 20% mehr Geschwindigkeit herausholen - bei deutlich höheren Kosten und einer starken Abhängigkeit von speziellen Produkten. 

  7. Ich denke, dass Akademiker am meisten von Steno profitieren würden, weil sie mit 5-8 Jahren Studium eine sehr lange Phase haben, in der Steno ihnen große Vorteile bringen kann: Sie verbringen jeden Tag etwa 4 Stunden in Vorlesungen, in denen sie teilweise durchgehend mitschreiben. Steno zu lernen braucht Zeit, die nicht für anderes genutzt werden kann. Daher muss der Zeitraum, in dem es einen besonders großen Nutzen hat, lang genug sein, damit der Gesamtnutzen die Lernkosten übersteigt. Wenn wir allerdings miteinbeziehen, dass eine effizientere Schrift uns für unser ganzes Leben hilft und nicht nur für die Ausbildungszeit, würden nicht nur Akademiker von Steno profitieren, sondern alle, die in relevantem Maße handschriftliche Notizen verwenden, also ebenso Handwerker, die Aufträge am Telefon besprechen, Geschäftsleute, die Einkaufe planen, und natürlich alle aus der schreibenden Zunft. 

  8. 250 Zeichen pro Minute sind etwa 100 Silben pro Minute. Professionelle Stenografen müssen mindestens 360 Silben pro Minute schreiben können, ich hätte also noch einiges an Weg vor mir, wenn ich mit Steno Geld verdienen wollte ☺ 

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