Zweite verfehlte Rechtfertigung von Frau Trüpel für Gallo

Update (2018): Die Grünen sind zwar lernfähig, Helga Trüpel scheint es aber nicht zu sein. Sie hat zwar Ihrer Partei auf der Bundesdelegiertenkonferenz gesagt, sie wäre jetzt doch nicht für Zensur, fühlt sich aber nicht daran gebunden, nachdem sie für Ihre Partei ins EU-Parlament eingezogen ist. Kurz, sie hat ihre Partei belogen:

Update (2013-04-28): Ich habe gestern die Rede von Helga Trüpel auf der BDK13 zur Netzpolitik gesehen, und sie hat meine Befürchtungen widerlegt. Grüne sind also lernfähig - und zum Glück sind Artikel im Netz nicht in Stein gemeißelt, so dass ich der Änderung hier Rechnung tragen kann: Was sie auf der BDK13 gesagt hat, ist für mich wählbar (wenn auch nicht meine Wunschaussage, aber das wäre auch etwas zuviel verlangt, wenn ich bedenke, wie weit unsere Positionen noch vor nur 3 Jahren auseinanderlagen). Und was matthi_bolte sagte, war genau das, was ich mir wünsche: „Nicht entweder Netz oder Kultur. Wir haben Modelle!“.

Helga Trüpel hat eine zweite Argumentation zu ihrer Abstimmung für Gallo geschrieben. Ich habe mir die Zeit genommen, die Fehlinformationen der Lobbyisten aufzuzeigen. Den Text habe ich ihr auch als Kommentar auf ihrer Seite geschrieben. Sollte er irgendwann verschwinden, wird er hoffentlich hier weiterleben.

Sehr geehrte Frau Trüpel,

Da sie die Unterstützerlisten als Argument nutzen: Haben sie die Listen geprüft? Eine Analyse dazu1 von laquadrature.net, gibt es inzwischen zusammengefasst auch auf Deutsch2. Kurz: Die „Unterstützer“ wurden oft nicht gefragt, existieren teils nichtmal oder sind seit Jahren tot.

Allgemein werfen Sie hier viele Probleme zusammen und schreiben Tauschbörsen die Schuld zu.

Beispielsweise den Rückgang der Albenverkäufe. Gerade in den USA ist das ein riesiges Problem für die Musikindustrie. Allerdings nicht wegen Tauschbörsen, sondern wegen Singleverkäufen im Internet. Nachdem die Musikindustrie seit Jahren einzelne Lieder hyped statt konsequent starke Künstler aufzubauen, haben nun Musikfans die Möglichkeit, nur noch diese Lieder zu kaufen statt immer die ganze CD kaufen zu müssen. Was dabei auffällt ist, dass das in Deutschland noch sehr viel weniger passiert als in anderen Ländern. Unsere Tauschbörsennutzung ist allerdings mindestens genauso hoch wie in anderen Ländern. Die zurückgehenden Albenverkäufe sind also schlicht ein Hausgemachtes Problem und nicht auf Tauschbörsen zurückzuführen. Und wenn Leute nicht mehr 10 Lieder kaufen müssen, obwohl sie nur eins wollen, sinkt logischerweise auch der Umsatz, weil eben nur noch eins verkauft wird.

Der Tera-Report

Dann stützen sie sich auf den Tera-Report3. Ich lese ihn gerade, und er liest sich wie eine Zusammenfassung all der Fehlinformationen, die in den letzten Jahren gestreut wurden. Fangen wir ganz einfach an:

„Im Szenario 1 wird davon ausgegangen, dass die digitale Piraterie parallel zum Filesharing-Traffic weiter zunehmen wird, was zu einer konservativen Schätzung der erwarteten Verluste führt.“

Grundfehler: Die Medienindustrie verliert kein Geld, wenn Leute mehr Medien tauschen. Sie verliert nur dann Geld, wenn Leute weniger Medien kaufen. Und nachdem bereits heute alle Medien im Netz verfügbar sind, und zwar schneller als man zur Videothek kommt, ist die Aussage einfach Unsinn: Der erhöhte Traffic geht auf größere Dateien zurück, nicht auf weniger Verkäufe.

Wie schafft man es nun aber am schnellsten, dass Leute einem kein Geld mehr geben wollen? Ein sehr effizienter Weg ist, sie alle als Kriminelle zu bezeichnen.

Und als ob das nicht verlogen genug wäre, fügen sie in der Methodik an:

„Wir setzten dann auf das Gesamtvolumen der jährlichen Copyrightverletzungen eine Ersatzrate an. Diese Ersatzrate entspricht der Anzahl von Einheiten, die aller Wahrscheinlichkeit hätten verkauft werden können, wenn es keine Piraterie (mehr) gäbe.“

Ersatzrate: 10%. Das heißt, für je 10 Lieder, die jemand runterlädt, hätte er eins gekauft. Denn weil jemand mehr Lieder runterladen kann, hat er automatisch mehr Geld für Medien… Bei TV wird es ganz verrückt: Da rechnen sie mit 30% Ersatzrate…

Ich wünschte, wir wären damit bereits fertig und Tera hätte so einen Unsinn gar nicht erst verzapft. Sind wir aber leider nicht. Die rechnen nämlich gerade mit diesen Methoden. Und sie rechnen mit seltsamer Mathematik (Seite 37):

Verluste in Deutschland 2008: 121 mio€ (Musik) + 251 mio€ (Filme) + 74 mio€ (TV) = 740 mio€.

Das ganze nochmal mit Taschenrechner: 121+251+74 = … 446. Genau.

Bei 420 Millionen genanntem Umsatzrückgang seit 2004. Ob die falsche Rechnung nun Absicht war, möchte ich nicht beurteilen.

Aber das ist noch nicht so krass, immerhin liegen genannter umsatzrückgang und behaupteter Verlust in der gleichen Größenordnung. Also schauen wir uns Italien an. Die Umsätze gingen von 2004 bis 2008 nach den Zahlen von Tera um 300 Millionen € zurück, auf etwa 1800 mio€. Durch Tauschbörsen verloren die Medienkonzerne aber angeblich 637 mio€. Anders gesagt: Die Medienindustrie rechnet uns vor, dass sie ohne Tauschbörsen nicht 15% kleiner sondern 15% größer wäre. Erklärt aber nicht, woher Leute dieses zusätzliche Geld haben sollten.

Ganz krass wird es, wenn wir uns Spanien anschauen. Da rechnen sie mit 1,3 Milliarden Verlusten durch Tauschbörsen, während sie 2004 insgesamt nur knapp 2,17 Milliarden Gesamtumsatz hatten, 2008 noch 1,65 Milliarden, ein Rückgang von gerade mal 0,52 Milliarden. Wenn also die Kunden keine Medien kopieren würden, dann wären die Umsätze der Medienindustrie auf 2,95 Milliarden € gestiegen? Das wäre ein Zuwachs um etwa 36%! Also nochmal die Frage: Von welchem Geld?

Die ganze Zahlenspielerei greift aber immernoch zu kurz. Sie rechnet nämlich immer wieder mit den Gesamtverlusten und nennt danach Tauschbörsen als Ursache. Leider haben wir keine Daten dazu, wie viele Leute keine CDs mehr kaufen, weil ihre Freunde verklagt wurden (die Industrie vor den Auswirkungen ihres Klagenwahns zu schützen ist nicht Sache der Politik, eher sollte die Politik die Kriminalisierung von 30% des Gesellschaft verhindern), und auch keine Daten dazu, wie viel Geld die Medienindustrie verliert, weil Leute jetzt Singles kaufen können, statt die ganze CD kaufen zu müssen. Aber wir können legale Downloads vs. CDs prüfen.

Um einen kleinen Anklang davon zu erhalten, nehmen wir einfach nochmal die Zahlen für Deutschland. Digitale Musikverkäufe stiegen um knapp 100 Millionen. Physikalische fielen um knapp 300 Millionen. Ein einzelnes Lied kostet im Netz etwa 1€. Eine CD kostet 15€. Wenn also nun die legalen Downloader statt einer ganzen CD einfach nur ihre 5 Lieblingslieder gekauft haben, erklärt sich bereits der gesamte Verlust des Musikgeschäftes: Die Firmen machen sich selbst Konkurrenz, indem sie das, was die Leute haben wollen, für geringere Kosten anbieten.

Alles in allem lässt sich mein Kommentar zum Tera-Report zusammenfassen als: Traue keiner Statistik, die von Lobbyisten einer großen Industrie gemacht wird, vor allem von keiner Industrie, die sich in den letzten Jahren einen einwandfreien Leumund erworben hat: Durch ständige Klagen gegen die eigenen Kunden, Kriminalisierungskampagnen und verlogenen Lobbyismus für Gesetze, mit denen sie ihre eigenen Kunden noch besser verklagen können.

Nun aber wieder zu ihrer Begründung.

Zwangsenteignung

Sie sprechen von Zwangsenteignung: Die Künstler würden enteignet, wenn sie nicht mehr jeden Vertriebsweg ihres Werkes kontrollieren können. In Wirklichkeit reden wir aber von einem Monopolrecht. Der Staat gibt den Künstlern ein Monopolrecht auf bestimmte Verwertungsarten. Und dieses Monopol ist nur sinnvoll, wenn es den Kulturellen Wohlstand in Deutschland steigert. Ich habe dazu vor einiger Zeit einen Text geschrieben, der analysiert, wie das Urheberrecht dieses Ziel am Besten erreichen kann: Sinn des Urheberrechtes und staatlich garantierter Monopolrechte, der sie hier vielleicht interessieren könnte4. Kurzform: Das Urheberrecht sollte einen Ausgleich zwischen drei Zielen erreichen:

  • Gesellschaft: Möglichst breites kulturelles Wissen der Bürger (kulturelle Teilhabe).
  • Kreative: Geld verdienen und ihre eigenen Werke verbreiten.
  • Bürger/Kunden: Zugriff auf möglichst viele Werke haben, die ihnen gefallen.

Das ideale Gleichgewicht zwischen diesen Zielen zu finden ist die einzige legitime Begründung für ein staatliches Monopolrecht. Es gibt kein „natürliches geistiges Eigentum“, denn „geistiges Eigentum“ bedeutet immer, dass einem Menschen das Recht eingeräumt wird zu beschränken, was andere Menschen tun dürfen. Daher sind es Monopolrechte: Wer das geistige Monopolrecht auf ein Fahrrad hat (Patent), kann anderen verbieten, sich selbst ein Fahrrad zu bauen. Wer das geistige Monopolrecht auf ein Lied hat, kann anderen verbieten, dieses Lied zu singen oder weiterzugeben, und beides ist ein staatlich geregelter Eingriff in die individuelle Handlungsfreiheit.

Durch die geringeren Prouktions- und Verbreitungskosten von Medien im Internet, brauchen die Künstler deutlich geringere Monopolrechte, um die Kosten für den Vertrieb der Werke zu zahlen, so dass der Kompromiss in Richtung individueller Handlungsfreiheit verschoben werden sollte. Dass der Teil der Industrie, der sich auf die reine Verbreitung von Werken gründet, anderer Meinung ist, ist zu erwarten.

Die Unterstützer

Haben Sie sich die Webseite des European writers Council angesehen? Da steht fast wortwörtlich „wir sind für ein aggressiveres Urheberrecht“. Dass die Gallo unterstützen ist klar. Die anderen haben gesagt „wir wollen nicht, dass für sie finanziell spürbare Änderungen gemacht werden, ohne dass sie klar definiert sind“. Da steht nirgendwo, dass sie gegen Änderungen sind, sondern nur, dass sie wissen wollen, worum es genau geht.

Zusätzlich sind die Unterstützerunterschriften teilweise schlicht und einfach gefälscht. Ein Toter kann keine Petition für Gallo unterschreiben und wer nicht gefragt wurde kann das ebensowenig (siehe 5: das wurde gemacht).

Nicht mehr bezahlen

Zum Abschluss werfen sie „wir können Werke herunterladen“ zusammen mit „wir wollen nicht bezahlen“. Das ist aber eine falsche Schlussfolgerung.

Die funktionierende Schlussfolgerung wäre: „Wir müssen nicht mehr bezahlen“.

Wie aber z.B. Magnatune6 zeigt, ein Online-Label bei dem niemand bezahlen muss, aber so viel zahlen kann, wie er will, wollen viele Musikfans für ihre Musik bezahlen, teils sogar deutlich mehr als das, was eine einzelne CD kostet. Wir können alle Musik gratis hören, und Leute bezahlen dafür – nicht trotzdem, sondern gerade deshalb. Wer einen Künstler mag, gibt ihm Geld, damit der Künstler mehr gute Musik produzieren kann. Dass die Fans wissen, dass die meisten Künstler von jeder CD nur ein paar Cent erhalten, hilft den CD-Verkäufen logischerweise nicht, aber das ist kein Fehler der Fans sondern der Medienfirmen.

Abschluss

Als Abschluss will ich noch eine letzte Frage stellen: Wie passt es zusammen, dass Avatar der finanziell erfolgreichste Film aller Zeiten ist, und gleichzeitig die Medienfirmen erklären, sie würden Umsätze verlieren? Offensichtlich bezahlen ihre Kunden gerne für wirklich gute Werke. Und das, während in den letzten 4 Jahren so gut wie jeder neue Kinofilm in tauschbörsen verfügbar war, bevor er im Kino kam, Avatar genauso.

Die Medienindustrie versucht, ihre abgrundtief schlechte PR („Gib mir Geld, denn ich verklage deine Freunde!“) und ihr völliges Verschlafen des Onlinemarktes dadurch wettzumachen, dass sie alternative Vertriebswege blockiert.

Tauschbörsen erhöhen nicht nur den Zugriff auf Kultur (kulturelle Diversität ist nur etwas wert, wenn sie die Leute auch erreicht), sondern bieten Künstlern die Möglichkeit, ihre Werke zu vernachlässigbaren Kosten selbst zu veröffentlichen, so dass sie von großen Firmen unabhängig werden. Und neue Bezahlmöglichkeiten im Internet ermöglichen es ihnen, von ihrer Kunst zu leben, ohne Zwischenhändler zu brauchen. Indem die Künstler so unabhängig von den wenigen großen Kontrollinstanzen (große Medienfirmen) werden, steigt die kulturelle Diversität deutlich.

Und ein persönliches Beispiel: Ich habe bis 2001 etwa eine CD pro Jahr geschenkt bekommen, und das war alles an Musik, was ich gehört habe. Dann habe ich in Tauschbörsen die Musik gefunden, die mich noch heute fesselt (Filk: Science-Fiction- und Fantasy-Folkmusik). Inzwischen kaufe ich 4-6 CDs im Jahr; direkt von den Künstlern. Ohne Tauschbörsen hätte ich diese Musik nie gefunden, was ein sehr schönes Beispiel dafür ist, wie die Kulturelle Diversität und die Umsätze der Künstler gerade durch nichtkommerzielles Tauschen im Netz gesteigert werden. Und ich bin kein Einzelfall.

Die Wise Guys7 haben auf ihren Konzerten eine persönliche Erhebung gemacht: „Wie viele von euch sind hergekommen, weil sie von einem Freund eine Platte gebrannt bekommen haben? … Also empfehlt uns weiter!“

Fazit

Die ihnen vorgelegten Statistiken sind zurechtgefälscht, und auch noch dreist und ungeschickt, Gallo wird, falls es umgesetzt wird, der Kreativwirtschaft mehr schaden als nutzen und gleichzeitig die Bürgerrechte in unserem Land massiv aushöhlen, zusammen mit einer noch stärkeren Kriminalisierung von etwa 30% der Bürger.

Sie haben mit ihrer Zustimmung weder sich selbst, noch den Grünen, noch der Gesellschaft einen Gefallen getan.

Bitte überdenken sie das nächste Mal, mit wem sie reden, wenn ihnen ein Lobbyist eine Statistik in die Hand drückt. Ihre Fraktionkollegen wissen vermutlich deutlich besser, was wirklich sinnvoll für unser Land ist, als ein Lobbyist, der nur an seine eigenen Pfründe denkt und dafür auch mal Statistiken fälscht8.

Mit freundlichen Grüßen, Arne Babenhauserheide

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