Kommentar zu Damsel in Distress: Schwache Darstellung von Frauen in Computerspielen

→ Ein Kommentar zu der Video(-spiel)-Analyse Damsel in Distress. Im ersten Teil beschreibt darin Anita Sarkeesian von Feminist Frequency, wie Frauen in Computerspielen vor allem in schwachen Rollen dargestellt werden („Damsel in Distress“ bedeutet in ihrer Beschreibung in etwa „Jungfrau, die Rettung braucht“). Im Zweiten spricht sie dann von Geschichten, in denen Männer auf Rachefeldzug gehen, nachdem ihre Frau oder Freundin getötet wurde.

Update (2013-08-11): In Folge 3 der Serie hat Anita fast alles umgesetzt, was ich hier geschrieben habe - und Aquaria beschrieben. Sehr cool!1

Inhalt:

Teil 1: Schwache Frauen

Dem ersten Video stimme ich zu: Frauen werden weitaus häufiger als schwache Charaktere gezeigt, die gerettet werden müssen.

Was ich dabei nicht verstehe ist, warum noch nicht in 90% der Spiele beim Start das Geschlecht des Hauptcharakters gewählt werden kann.

Aber schauen wir doch einfach mal, an welche Spiele ich mich am stärksten erinnere - als Näherung für die Frage, welche Spiele mich am meisten beeinflusst haben:

  • Shining Force II. 30 Charaktere. Davon nur 6 Frauen. Eine davon (Sarah) allerdings in der Anfangsgruppe (4 Charaktere) und anders als im Video beschrieben, wird sie nicht irgendwann entmachtet, sondern kann ungefähr bei der Hälfte des Spiels zur stärksten Nahkämpferin werden. Sie startet als Heilerin und wird Kämpferin. Zu einer Zeit, in der Frauen in Deutschland noch nicht mal zur kämpfenden Truppe der Bundeswehr durften, selbst wenn sie wollten. Charaktere.

  • Seiken Densetsu 3. Das einzige Spiel, zu dem ich bisher ein Lied geschrieben habe. Angela ist eine der 6 Hauptcharaktere von denen man am Anfang 3 wählen musste. Sie flieht vor ihrer Mutter (der Königin), die sie Opfern will, um den Tod ihres Landes aufzuhalten, entkommt durch ihre unterbewussten magischen Kräfte (sie kann anfangs nicht zaubern, was für ihre Mutter eine große Schande ist) und lernt diese Kräfte während des Spiels immer besser zu nutzen. Charaktere: 3 Männer und 3 Frauen.

  • Suikoden I und II: Es geht um die Welt, nicht um Frauen. Allerdings bekämpfen sich zwei Männer und früher beste Freunde. Und es gibt die Stereotype „Frau stirbt“ Szene (allerdings keine Chance zur Rettung). Charaktere: Suikoden I und Suikoden II

  • Starcraft 1: Die wirkliche Heldin ist Kerrigan, deren Wille stark genug ist, dass sie am Ende den gesamten Schwarm der Zerg kontrolliert (sie war der Haupteinfluss auf meine Handlungen in einer unserer Rollenspielrunden - Prosa-Mitschrieb). Starcraft 2 macht sie allerdings zumindest in der ersten Kampagne zur Frau, die gerettet werden muss… (später soll es besser werden, aber nach dem Update der AGBs weigere ich mich, es auf meinem eigenen Rechner zu spielen: Die wollen das Ram auslesen, in dem auch Passwörter stehen??? Soweit kommts noch. Vielleicht mal auf einer virtuellen Maschine - dazu habe ich die Rückmeldung erhalten, dass die AGBs es nicht verbieten…). Sarah Kerrigan.

  • Final Fantasy VII: Aerith (wird von Sephiroth geopfert, bleibt dann tot, hat aber über ihr Opfer wohl den Fall Sephiroths verursacht). Tifa (Nahkämpferin, braucht definitiv keine Hilfe). Yuffie (Diebin und Ninja. Ich wüsste nicht, dass sie Hilfe brauchte - sie kommt nur mit, wenn man ihr sagt, dass man ihre Hilfe braucht). Charaktere.

  • Street Fighter: Chun Li (immernoch sehr unschuldig - Yadda!). Mein Lieblings-Charakter.

  • Soul Calibur: Von Taki (Dämonenjägerin) bis Sophitia (von ihrem bayrisch-idyllischen Bergdorf-Gott auserwählt, gegen das Böse zu kämpfen. Entschuldigt sich, wenn sie gewinnt - auch, wenn sie dafür dem Gegner das Genick gebrochen hat). Alle Charaktere kämpfen. Liste.

…ich will wieder Soul Calibur spielen. Wieso müssen die nur ihre Konsolen so DRM-verseucht machen - und wieso gibt es das nicht einfach unter GNU/Linux?

Die meisten dieser Spiele haben starke Frauen.

Und vielleicht ist das ein Teil des Grundes, warum ich im Gegensatz zu der Mehrzahl der Leute vor 50 Jahren eine starke Frau will - und habe.

Teil 2: Frauen im Eisfach

Im zweiten Teil der Video-Serie kommt „Ermordete Frau und entführtes Kind“ als Stereotyp. Da verstehe ich allerdings gut, warum der Stereotyp genutzt wird: Er erzeugt eine sofortige, heftige Reaktion in jedem Ehemann mit Familie. Das einzige Problem, das ich damit sehe ist, dass es das gleiche eben nicht andersrum gibt: Warum können wir nicht einfach auch Frauen in der gleichen Situation spielen?

Der Kommentar zu GTA war dagegen schwach: GTA ist das Spiel, in dem es Punkte dafür gibt, Kindergartenkinder zu überfahren, da sollte jedem Spieler klar sein, dass es eben kein sozial akzeptables Verhalten zeigt. Das gleiche gilt für Duke Nukem.

Grundlegend stimmt dabei meiner Erfahrung nach die Aussage, dass Frauen oft schwach dargestellt werden.

Der Abschluss „wenn es nur Gewalt im Spiel gibt, haben die Spieldesigner keine andere Chance, deswegen muss die Spielmechanik anders sein“ ist dagegen meiner Meinung nach ein Fehlschluss: Sex2 und Gewalt verkaufen sich gut, weil Leute das in Spielen erleben wollen.

Ich sehe aber nicht, dass sich weibliche Hauptcharaktere schlechter verkaufen. Zumindest nicht an mich - ich sage nur Kerrigan, für die ich immer wieder versucht bin, meine Ideale beiseite zu lassen und mir eine virtuelle Maschine zu installieren, auf der ich Starcraft 2 spielen kann, ohne dass es mir Probleme macht, dass Blizzard sich über die AGBs herausnimmt, mein Ram auszulesen - in dem alle Arten von persönlichen Daten stehen.

Daher denke ich, dass die richtige Frage für die Videos wäre: Warum gibt es weniger Spiele, die Frauen als starke Hauptcharaktere haben, als Spiele, die Männer als starke Hauptcharaktere haben?

Die Frage sollte sich nicht darum drehen, warum es bestimmte Arten von Spielen gibt (das würde in letzter Konsequenz in Verboten enden), sondern warum es weniger von anderen gibt.

Als Motivation: Robin D. Laws hat in Robins Laws of Good Gamemastering zu Rollenspielen geschrieben „Spiele geben uns die Möglichkeit, verantwortungslos zu handeln“.

Und das gilt für Computerspiele genauso: Spieledesigner brauchen die Freiheit, verantwortungslose Geschichten zu schreiben. Darunter werden politisch erwünschte Geschichten sein und Geschichten, von denen ich nicht will, dass meine Kinder sie miterleben, bevor sie alt genug sind, die Geschichten zu hinterfragen.

Jegliche Kulturschaffende brauchen die Freiheit, gesellschaftliche Konventionen in Frage zu stellen. Sonst landen wir in einer trockenen Wiederkäuerkultur.

Anders gesagt: Statt zu erklären „das darfst du nicht“ (als moralische Aussage) wäre es sinnvoller, erstens den Trend zu analysieren (das tun die Videos zum Teil) und zweitens, Spiele zu empfehlen, die einen anderen Trend erschaffen. Und nicht nur ein paar Indies (auch wenn ich Indies mag), sondern Spiele, die die gleichen Ansprüche erfüllen, wie die kritisierten Spiele.

Um das mal anzufangen: Es gab ein Review zu den Videos, das als Gegenbeispiel im Hintergrund eine aktuelle Version von Tomb Raider hatte. Und ich war überrascht, wie normal die Hauptcharakterin im neuen Tomb Raider wirkt.

Lara Croft war eine der ersten wirklich starken Frauen in Mainstream-Spielen. Sie war auch so unbalanciert, dass sie ihren Rucksack als Gegengewicht brauchte. Und darüber gab es zahllose Witze (und Beschwerden). Die aktuelle Visualisierung von Lara Croft ist dagegen völlig anders: Wie die meisten Frauen (und Männer) in jeglichem Medium sieht sie gut aus. Aber sie braucht keine dicken Brüste mehr, um das zu zeigen.

Das gleiche gilt übrigens für Sgt. Uhura in Star Trek: Lara Croft und Syota Uhura waren beide Vorreiter für starke Frauen. Und beide wurden später kritisiert, weil die Kritisierenden schlicht ignorieren, dass sie zu ihrer Zeit weitaus stärker waren als der Großteil der Frauen in ihren Medien.

Hm, Tomb Raider 5 gibt es für PC. Vielleicht sollte ich doch mal nach Steam auf GNU/Linux gucken. Auch wenn das nicht frei lizensiert ist.

Starke weibliche Hauptcharaktere

Also, nochmal:

Warum gibt es weniger Spiele, die Frauen als starke Hauptcharaktere haben als Spiele, die Männer als starke Hauptcharaktere haben?

Existierende Spiele

Ein Teil der Antwort: Es wurden nicht so viele davon geschrieben. Klingt offensichtlich, ist aber halt so. Allerdings gibt es eben doch viele Spiele, die starke Frauen haben. Statt also gegen Duke Nukem zu sprechen (das offensichtlich sexistisch ist, und zwar so übertrieben, dass es kaum ernstzunehmen ist), wäre es sinnvoller, Spiele zu beschreiben, die starke Frauen zeigen.

Wunsch: Venus, Goddess of War. Als Nachfolger von God of War (dessen Spielgefühl genial ist).

Spiele, die ich kenne:

  • Fast jedes Prügelspiel (Street Fighter, Soul Calibur, uvm. - selbst Mortal Combat!)
  • Seiken Densetsu 3 (= Secret of Mana 2)
  • Final Fantasy VII
  • Starcraft I
  • Das neue Tomb Raider 5
  • Aquaria (bei dem ist zusätzlich die Spiele-Engine frei lizensiert!)
  • Battle for Wesnoth (das ist vollständig frei lizensiert)

(die letzten beiden sind Indies)

Geschlechterspezifische Motivation

Ein weiterer Teil der Antwort: Die Heldenreise ist seit tausenden von Jahren ein vor allem für Männer wichtiges Thema. Denn „ein Mann, der nichts erreicht, ist nichts wert und wird keine Frau abbekommen“3. Das ist der gesellschaftliche Druck, unter dem Männer seit Jahrtausenden stehen, und deswegen ist es völlig logisch, dass Männer stärker auf eine Möglichkeit reagieren, das Gefühl des gesellschaftlichen Erfolges auf unkomplizierte Art zu erreichen. Daher erreichen Spiele, die diese Möglichkeit bieten, eben mehr Männer als Spiele, die sie nicht bieten.

Mit ähnlichem Hintergrund bleiben sehr viele Frauen vor der Auslage eines Modegeschäftes stehen. Frauen erleben in der heutigen Welt anderen Druck - nicht weniger aber anderen. Und Spiele sind zum Teil eben „Shopping for Superpowers“ (auch das ist aus Robins Laws…).

PS: Ich hatte ganz vergessen, wie cool einige der Geschichten in Computerspielen sind. Ich muss dringend wieder mehr spielen…


  1. Part 3 of Damsel in Distress got much better than part 2, I think. Well worth watching!
    With a (short) nod to Drakan (I only played the demo, but that was awesome) and a nice reference to Aquaria. Though she leaves out Naija fighting against huge monsters and talks instead about cooking and learning about her backstory. But actually 80% of the game is spend diving through deep waters, battling hostile underwater creatures to beautiful music and using tunes to cast spells. At least that’s true as soon as you learn the self-transformation spells to switch into battle-forms.
    On the story-idea in the end: I’d wish for an alternative start: The evil overlord who captured the princess comes to her to gloat about a prophecy which says she will be saved by a noble knight, and that this prophecy will never come true. Instead of hoping for a prince, she decides to leave, not intending to become anyones price.
    PS: Preexisting Stereotype about men: dumb husband who never accomplishes anything meaningful and is laughing stock of his family. That’s the trope employed in many comedy shows on TV… 

  2. Sie schreibt zu Crystal, dass sie in Starfox ein Objekt sexueller Begierde geworden wäre. Crystal wird dort als (sehr) verlockend dargestellt. Verführerische Frauen sind allerdings erstmal nicht schwach. Sie nutzen nur eine soziale Ebene, um ihren Willen durchzusetzen, statt auf Gewalt zurückzugreifen. Und sie können damit extrem erfolgreich sein. Verlockendes Verhalten als problematisch darzustellen nimmt Frauen eine Möglichkeit, Macht auszuüben. Und es zerstört eine Interaktionsebene, die es in der wirklichen Welt gibt. Ich lese allerdings immer wieder Feministinnen, die gegen Sexualität sprechen. Klar: Es ist ein Problem, wenn Frauen zu einem Lustobjekt reduziert werden. Genauso ist es aber auch ein Problem, wenn Frauen (oder Männern) die sexuelle Dimension ihres Lebens schlechtgeredet wird. Es ist egal, auf welchen Aspekt des Lebens jemand reduziert wird: Die Reduktion echter Menschen auf einen einzelnen Aspekt ist das Problem (wobei Personen in Geschichten eben keine echten Menschen sind). Sexualität ist ein emotionales Thema, weil es so viele Leute gibt, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Deswegen Geschichten mit sexuellen oder sexualisierten Inhalten zu verbieten, bedeutet allerdings, dass ein existierendes gesellschaftliches Thema aus unserer Kultur entfernt wird. Feministen und Feministinnen tun Frauen keinen Gefallen, wenn sie ihnen Sexualität schlechtreden. Sie sind damit aber sehr nah an christlich-konservativen Betonköpfen, die selbstbestimmte Lebensführung als zu bekämpfendes Übel ansehen. Warum wohl konnte Alice Schwarzer in der Bild schreiben? 

  3. Dieser Satz ist natürlich ein Vorurteil. Deswegen steht er in Anführungszeichen. Ich distanziere mich hiermit explizit davon: Wesen haben für mich einen intrinsischen Wert, egal, was sie erreichen, und es gibt so viele Frauen, die an erfolglosen Männern hängen, dass auch der zweite Teil des Satzes offensichtlich falsch ist. Das hindert ihn aber nicht daran, als Muster zu wirken, das Männer unter Druck setzt. 

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A mail to Anita Sarkeesian

A mail I sent Anita over her contact form. I decided to archive it here so it is publicly accessible.

Hi Anita,

Thank you for your series!

I discovered your videos last week by chance and liked part 1 a lot. It got me to reflect on the games I still remember playing and how they influenced me - how they played a role in getting me interested in strong women.

Compared to other media, those games as well as the science fiction and fantasy I enjoyed portrayed women as strong - as heroines who carved their own path.

Recently I then played Zelda, Phantom Hourglass, and driven by my experience from other games, I waited the whole time for Tetra to awake and join Link in the struggle. She actually sat there as stone in the ship and everytime anything happened on the ship I thought “now she’ll awake and we’ll split up to work together”. But she did not. All in all that was rather disappointing…

So I definitely see the point that games portray women as weak, but the exceptions are pretty important, because players can choose which games to play.

Could you make an episode which shows the highlights of women empowerment in the games you played? That would have a direct, economic impact on game publishing, because it would give publishers who write gender equalizing games quite a bit of publicity - and it could have a political impact because it could get more people to play these games.

Best wishes, Arne

PS: I also wrote an article on my personal site about your first two videos. It’s in german, though: http://draketo.de/licht/politik/damsel-in-distress

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Willkommen im Weltenwald!
((λ()'Dr.ArneBab))



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